Sünde 10 - Überrumpelung

Wer behauptet, der Sex mit dem langjährigen Partner sei immer noch so toll wie am ersten Tag, der lügt so offenkundig, dass sich die Balken biegen. Wir sollten bei der Suche nach Neuem aber auch nicht mit der Tür ins Haus fallen und dem anderen von heute auf morgen die gewagtesten Experimente abverlangen. Das wäre eine Todsünde.

»Ich wollte dich doch nur überraschen«

Wartenburg: Heinz (54) überrumpelt seine Ehefrau Jasmin (50).

Um zu erzählen, was ich erlebt habe, muss ich erst ein bisschen ausholen. Ich bin in zweiter Ehe mit meiner Frau Jasmin zusammen. Seit 16 Jahren. Ich liebe sie immer noch. Aber im Bett war, ehrlich gesagt, der Pfiff raus. Wenn wir miteinander schliefen, lief das immer nach demselben Muster ab. Zuerst streichelten wir uns, ich fasste dann an ihre Scheide, sie an meinen Penis. Und wenn sie feucht war und ich einen Ständer hatte, drang ich in sie ein. Zuerst in der Missionarsstellung, dann wechselten wir die Position, und sie setzte sich auf mich. In dieser Stellung kam sie am besten zum Orgasmus. Dann nahm ich sie von hinten. Dabei war die Reibung so, dass ich gut stimuliert wurde. Ich spritzte ab, und wir legten uns schlafen.

Meiner Frau gefiel das richtig gut, wie leidenschaftlich ich war

Früher machten wir es mehrmals in der Woche miteinander, heute immerhin noch etwa einmal im Monat. Und obwohl die Handgriffe genau so sind, wie ich sie gern habe, bin ich unglücklich, denn unser Sex ist langweilig. Um überhaupt einen Ständer zu kriegen, stelle ich mir dann vor, ich sei in einem Sexclub und würde von einem netten Pärchen in die Kunst des Dreiers eingeführt. Oder ich träfe dort eine hübsche Singledame, die mich dann einfach vor den Augen aller anderen Gäste verführen würde. Und wenn ich Jasmin von hinten nehme, gönne ich mir die Fantasie, mit einer der unbekannten Frauen dort zu vögeln.

Und dann hat bei uns in der Gegend ein neuer Club aufgemacht. Eines Abends war ich zufällig in der Nähe, und die ersten Besucher fuhren vor. Ich wurde so scharf, als ich da quasi kurz davor stand, meine Fantasien Wirklichkeit werden zu lassen. Wer weiß, wenn ich die richtigen Anziehsachen dabeigehabt hätte, hätte mich wahrscheinlich niemand mehr aufhalten können. So aber fuhr ich aufgepeitscht nach Hause. Meiner Frau gefiel das richtig gut, wie leidenschaftlich ich war. Anschließend sagte sie mir, sie würde mich gar nicht wiedererkennen. Da brach es aus mir heraus: Ich erzählte ihr, dass ich etwas Tolles entdeckt hatte, womit ich sie überraschen wollte – einen Sexclub. Er sei die Lösung, damit würde der Sex zwischen uns wieder so frisch werden wie am Anfang. Ich gab zu, dass ich schon vor der Tür gestanden hatte, aber nicht hineingegangen war, weil ich unbedingt mit ihr zusammen hingehen wollte.

Sie schaute mich entsetzt an. »Was willst du? Mit anderen rummachen? Ich soll dir zugucken, wie du eine andere Frau vögelst, und das auch noch gut finden? Du spinnst! Das ekelt mich an!«

Oje, sie machte mir eine Szene. Das hatte ich nicht gewollt. Sie redet dann immer so hoch und schnell. Ich versuchte, sie zu beschwichtigen und das Ganze als blöde Idee abzutun. Ich sagte ihr, dass ich sie liebe und dass wir den Sexclub nicht brauchen. Wir sprachen nicht mehr darüber.

Von dem Moment an veränderte sich was an unserem Sex

Das ist alles, was ich über meine Todsünde zu sagen habe. Man kann nicht jahrelang immer das gleiche Programm abspulen und dann seinen Partner derart überrumpeln. Das werden wohl die wenigsten Menschen mitmachen.

Allerdings ist die Geschichte noch nicht zu Ende, und jetzt wird es erst richtig interessant. Meiner Frau hat der Gedanke offenbar keine Ruhe gelassen. Mein Geburtstag kam – und wie überrascht war ich, als ich aus einem roten Briefumschlag einen Flyer dieses Sexclubs herausholte. »Aber nur zum Schauen. Ich möchte keinen Partnertausch. Vielleicht gefällt es uns ja, und wir finden ein paar Anregungen für unser Sexleben«, stellte Jasmin klar.

Von dem Moment an veränderte sich etwas an unserem Sex. Wir mussten ja den Ausflug vorbereiten und sprachen viel darüber. Was für Leute werden da sein? Was ziehen wir dort an? In dem Prospekt stand, dass wir in normaler Kleidung ankommen und uns dann umziehen sollten. Die Frauen sollten Dessous tragen, die Männer einen schicken Slip oder Boxershorts.

Hm, das Aussuchen der Kleidung war schon mal nicht schlecht. Dann sprachen wir lange über die richtigen Schuhe. Jasmin würde hohe Stöckelschuhe tragen, so viel war klar. Aber ich? Was zieht ein Mann an, wenn er schick sein soll, aber kein Straßenschuhwerk tragen darf? Ich konnte ja schlecht in Adidas-Badelatschen rumlaufen. Ich habe mich für edle italienische Slipper entschieden, die fast zu fein waren, um sie draußen zu tragen.

Dann war es endlich so weit. Wir wurden im Eingangsbereich begrüßt und bekamen ein Glas Prosecco zur Entspannung. Bei der Anmeldung nennt man nur seinen Vornamen. Eine junge Dame, übrigens normal angezogen, führte uns durch den Club. Es sah ein bisschen aus wie in einer Saunalandschaft. Überall saßen Leute in Dessous. Es gab eine Disco, ein Restaurant, einen Außenbereich mit einem Baumhaus. Es gab große Spielwiesen und kleine Zimmer für Paare, die ungestört sein wollen. Es gab eine Ecke für SM und einen Darkroom. Unsere Begleiterin wies uns darauf hin, dass wir uns überall Handtücher nehmen können, denn wir sollten uns nicht nackt auf Stühlen oder Matten niederlassen. Dann waren wir uns selbst überlassen.

Wir zogen uns um, es war wie im Gruppenraum eines Schwimmbads. Jeder hatte einen Spind. Jasmin nahm ihr Handtäschchen, und wir zogen los. Zuerst aßen wir eine Kleinigkeit. Das war noch nicht so prickelnd, auch wenn alle Leute wenig anhatten. Dann gingen wir zur Bar, um etwas zu trinken. Neben der Bar befand sich eine Tanzfläche. Wir fingen an zu tanzen und waren beide zuerst gehemmt. Wir wussten nicht so recht, wie man sich so fast nackt bewegt. Doch als wir sahen, wie ungeniert sich die anderen auf der Tanzfläche anfassten, gewannen wir Sicherheit. Wir tanzten sehr eng miteinander und ich hatte den Eindruck, dass es Jasmin mindestens genauso gefiel wie mir.

Die Luft ist erfüllt von Stöhnen und Schreien

Etwas später am Abend leerte sich die Tanzfläche. Wir wollten nun endlich die anderen Angebote des Clubs sehen und gingen zu einer sogenannten Spielwiese. Das ist ein großes Matratzenlager mit Platz für sechs bis zehn Pärchen. Hier findet man alles, Zweier, Dreier, Vierer oder noch größere Gruppen. Es findet Partnertausch statt oder zwei schauen zu, wie es ihre jeweiligen Partner miteinander treiben. Das hat etwas sehr Erregendes, die Lust wird rausgelassen, die Luft ist erfüllt von Stöhnen und Schreien: Irgendjemand kommt immer gerade zum Höhepunkt oder ist auf dem Weg dorthin.

Wir suchten uns einen Platz am Rand. Das Licht war gedämpft, so sahen wir nicht alles im Detail. Aber man bekommt es schon mit. Die Leute wechseln auch dauernd. Manchmal schnappen sie sich ihre Dessous, gehen unter die Dusche und kommen dann frisch wieder zurück.

Eine Schlüsselszene für uns: Neben uns lagen zwei Pärchen, etwa Mitte 30. Einer der Männer war ein Schwarzer. Die Frauen vögelten erst mit ihrem eigenen Partner, dann wechselten sie und gingen hinüber zum anderen. Irgendwann waren sie fertig und haben sich einander vorgestellt. »Hallo, I’m Jim, this is Carla, … Nice to meet you.« Und jedes Mal wenn wir jetzt dieses »Nice to meet you« hören, müssen wir an diese Szene denken und zwinkern uns verschwörerisch zu.

Wir beide haben auch auf der Spielwiese gevögelt. Es waren immer auch Zuschauer da. Die Wand hat Bullaugen, durch die man gucken kann. Deshalb war das ein besonderer Moment, als ich den Slip herunterstreifte und mich zeigte. Genau das war es, was mich ungemein anmachte: Einerseits das Voyeuristische, also andere zu beobachten. Und andererseits das Exhibitionistische, sich selbst auch zur Schau stellen. Ich hatte jedenfalls einen Dauerständer. Und dieses Mal fingen wir auch nicht damit an, uns zuerst zu reiben und dann in die Missionarsstellung zu gehen. Wir waren so erregt, und gleichzeitig sollte uns nichts entgehen. So setzte ich mich hin, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, und Jasmin setzte sich auf mich, mal mit dem Rücken zu mir, mal seitlich … Alles war anders und neu. Wir vögelten langsam, und gleichzeitig redeten wir miteinander. »Schau mal, der da drüben, der kann nicht richtig lecken.« Oder: »Hast du die schon gesehen, die hat jede Menge Intimschmuck.« Oder: »Schau, der Mann dort, der will beim Vögeln die Frau neben ihm anfassen. Aber die legt seine Hand immer wieder weg.« Es gab also auch Spielregeln. Wer nicht will, will nicht. Das muss respektiert werden. Was wir nur nicht herausbekommen haben: Wie bahnt man einen Partnertausch an? Man kann ein Armband tragen, das signalisiert, dass man dazu bereit ist. Aber wie verständigt man sich dann? Das haben wir noch nicht herausgefunden.

Wir planen, bald wieder in unseren Sexclub zu gehen

Wir zogen weiter, jetzt wollten wir auch die härteren Sachen sehen. Da gab es einen Pranger. Eine Frau hatte ihren Kopf und ihre Arme hineinsperren lassen. Sie sah also nicht, was hinter ihr vor sich ging. Eine andere Frau war an einen Gynstuhl gefesselt. Beide Frauen hatten schon einige Interessenten, die auf sie warteten. Insgesamt gab es einen leichten Überschuss an Männern, aber auch Frauen nahmen sich ihrer bereitwillig an. So auch im sogenannten Tempel. Hier war das Licht sehr hell. Auf einer Art Altar lag eine Frau, und drei Männer befummelten und befriedigten sie gleichzeitig. Auch hier standen drei weitere Männer in einer Reihe und warteten. Bei diesen Geschichten gilt: Wer sich bewusst ins Licht setzt, will nicht nur die spezielle Art von Sex, sondern will dabei auch ganz genau gesehen werden.

Jasmin und ich schauten nun nur noch zu. Die vielen Reize lenkten uns so ab, dass wir selbst nicht mehr miteinander schliefen. Wir hatten außerdem vorab die Vereinbarung getroffen, uns auf niemand anderen einzulassen. Bei einem Paar im Club hatte einer die Regeln, wie weit er gehen wollte, offenbar nicht eingehalten, oder die beiden hatten sie vielleicht vorher nicht genau festgelegt. Das führte zu einer unschönen Szene. Dann ist so ein Erlebnis natürlich nicht beziehungsstärkend, sondern bewirkt genau das Gegenteil.

Kurz nach Mitternacht fuhren wir nach Hause. Müde, befriedigt, glücklich.

Wir sprachen noch lange über das Erlebnis. Uns fielen immer wieder neue Einzelheiten ein. So haben wir auch damit angefangen, uns beim Sex Fantasien zu erzählen, so nach dem Motto: »Erinnerst du dich an die Frau am Pranger, ihre Muschi glänzte schon richtig vor Feuchtigkeit.« Unser Sex wurde verruchter. Einmal gingen wir zusammen in eine Peepshow, da standen wir beide am Fenster und schauten rein. Das war allerdings nur ein billiger Abklatsch der Ereignisse im Sexclub. Ein anderes Mal fuhren wir auf einen Autobahnparkplatz, an dem öffentlicher Sex stattfinden soll. Im Internet wird bekannt gegeben, wo das Ereignis stattfinden soll. Das war prickelnd, denn es hätte ja jeden Moment jemand kommen können, der nicht dazugehört. Aber uns gefielen die Menschen nicht so sehr, die sich hier vergnügten. Und deshalb planen wir, bald wieder einmal in unseren Sexclub zu gehen.

Ich bin Jasmin sehr dankbar, dass sie Verständnis für meine Wünsche hatte, trotz der Art, wie ich sie damit überfallen hatte.

Oswalt Kolle ganz persönlich

»Ein außergewöhnlicher Vorschlag kann das Sexualleben stark bereichern«

Wenn Ihre Beziehung bereits einen Grauschleier hat, dann sollten Sie schleunigst etwas dagegen tun. Stellen Sie Ihren Partner aber nicht einfach vor vollendete neue Tatsachen. Nicht jeder ist für gewagte Überraschungen im sexuellen Bereich zu haben. Die meisten Menschen wüssten gern vorher, was sie erwartet und worauf sie sich einlassen. Sonst fühlen sie sich verunsichert. Und wenn Sie gewagte Vorschläge ansprechen, sollten Sie behutsam vorgehen und nicht riskieren, gegen die Moral- und Wertvorstellungen des Partners zu verstoßen. Niemand freut sich, wenn er mal soeben sein Lebenskonzept komplett neu überdenken darf, nur weil Sie sich das so vorstellen oder weil er sich bedingungslos Ihren erotischen Vorstellungen anpassen soll. Deswegen funktioniert eine tolle Überraschung nur bei vollständigem Einverständnis und Lust beider Partner.

Ich rede hier nicht davon, sich ein neues Dessousteil zu kaufen oder eine andere Stellung ausprobieren. Sondern ich rede von Sexclubs, Orgien, Auspeitschungen oder von einer neuen, vulgären Sprache. Oder auch davon, dass Sie vom Partner oder der Partnerin verlangen, sich mit dem von Ihnen zur Überraschung aufs Bett gelegten Gummianzug und einer Maske unkenntlich zu machen. Solche Überraschungen schlagen im Allgemeinen fehl. Der Partner wird verunsichert. Er stellt Ihre gemeinsame Zeit infrage und zweifelt daran, ob er Sie wirklich kennt. Das ist eine schlechte Voraussetzung, Ihnen und Ihren neuen Vorschlägen zu trauen.

Verunsicherung, Zweifel, Erschütterung des Vertrauens – das waren auch die anfänglichen Probleme von Jasmin. Sie hatte ja keine Ahnung davon, was ihren Mann schon seit Jahren beschäftigte. Und nun sollte sie mit einem Schlag alles nachempfinden können und gleich auch noch gut finden. Das funktioniert so nicht. Jasmin war verständlicherweise erst einmal abgeschreckt. Doch dann hat sie wirklich etwas Großartiges geleistet: Sie hat verstanden, dass ihr Mann seine geheimen Wünsche nicht länger für sich behalten wollte, und dies als Liebesbeweis erkannt. Heinz wollte seine Fantasien mit ihr teilen, er wollte wieder Gemeinsamkeit mit ihr, nur deswegen »brach« es aus ihm heraus. Seine Ungeschicklichkeit beim Äußern seines Vorschlages ist leicht zu erklären: Er war einfach erleichtert, als er sich endlich traute, ihr alles zu sagen, und konnte in seinem Drang nicht auch noch Zeit für diplomatische Formulierungen finden. Das alles hat Jasmin gespürt.

Es spricht für die Beziehung von Jasmin und Heinz, dass sie seine wahre Motivation erkannt hat und das Vertrauen in ihn wiederfand. Das Vertrauen ist ja ohnehin die Basis, um sich gemeinsam in neue, unbekannte Gebiete vorzuwagen. Überraschungen wollen also sensibel vorbereitet sein, damit sich die oder der andere in Gedanken langsam auf die neue Möglichkeit einstellen kann. Dann aber kann ein außergewöhnlicher Vorschlag das Sexualleben von zwei Menschen, die sich lieben, stark bereichern.

Was ist erotische Intelligenz, und wie wichtig ist Dynamik?

Wenn zwei Menschen zu einem Paar werden, ist es ihr Bestreben, sich gut kennenzulernen und Harmonie und Vertrautheit anzustreben. Dies ist ein Grundbedürfnis, gesteuert von bestimmten Hormonen. Damit kommen aber andere Bestrebungen, nämlich Neugierde befriedigen und die Suche nach Neuem, mit der Zeit zu kurz. Je mehr sich die Beziehung verfestigt, desto mehr wird der andere Bereich aus unserem Leben ausgeschlossen. Eine Zeit lang kann das gut gehen, da sind die Liebe und das Glück über die Partnerschaft wichtiger als der Trieb nach dem Neuen. Irgendwann aber beginnt dieses Gefüge zu kippen. Das ist der Moment, in dem sich Paare trennen, eine Außenbeziehung eingehen oder aber etwas Neues in die gewohnte Beziehung einfließen lassen.

Guter Sex ist auch mit dem vertrauten Partner möglich

Der Sexualtherapeut und Psychoanalytiker Jack Morin aus San Francisco hat vor etwa zehn Jahren in seinem Buch »Erotische Intelligenz« beschrieben, warum emotionale Nähe die sexuelle Leidenschaft eher zerstört als anfacht: Wir finden jemanden attraktiver, wenn er getrennt von uns existiert, als wenn er sozusagen Teil unseres Selbst wird. Der Reiz des Neuen ist eine wesentliche Voraussetzung für guten Sex.

Aber dieses Prinzip, »der Reiz des Neuen«, muss nicht zwangsläufig dazu führen, dass Sex nur mit neuen Partnern gut und interessant ist. Guter Sex ist auch mit dem »alten« und vertrauten Partner möglich – vorausgesetzt, beide trauen sich, ihre Wünsche zu äußern. Dabei geht es nicht unbedingt darum, immerwährende Harmonie im Bett anzustreben, sondern darum, die jeweils unterschiedlichen Wünsche der Partner als gleichwertig zu akzeptieren. Mit dieser erotisch intelligenten Einstellung muss sich keiner den Wünschen des anderen unterordnen. Er kann sie freiwillig erfüllen. Aber er muss sie sich nicht zu eigen machen. Dieses Prinzip wird von dem US-Sexualforscher David Schnarch als »Differenzierungskonzept« bezeichnet. Danach sein Sexualleben auszurichten, ist auf jeden Fall von Vorteil, so der Forscher: »Denn entweder treffen die Wünsche auf eine Gleichgesinnung im Partner. Dann werden sie umso lieber ausgeführt. Oder sie treffen auf Unverständnis. Dann ist es das Fremde, was den anderen weiterhin anziehend macht.« Da sich Wünsche weiterentwickeln und verändern, kann auch in einer langjährigen Partnerschaft immer wieder ein fremder Aspekt auftauchen, und die Beziehung bleibt dynamisch.

Mehr sexuelle Ideen als Zeit und Gelegenheit, sie auszuleben

Diese Idee hat der Psychotherapeut Ulrich Clement in seinem Buch »Systemische Sexualtherapie« aufgegriffen und dargestellt: Menschen kommunizieren nur über einen kleinen Teil ihrer sexuellen Wünsche miteinander und behalten den weitaus größeren Teil für sich, schreibt er sinngemäß. Das heißt aber, es gibt ein weitaus größeres sexuelles Spektrum als jenes, das wir dem anderen und oft genug auch uns selbst gegenüber offenbaren. Und so wäre es für die eigene und die gemeinsame Sexualität sehr bereichernd, wenn wir diese Wünsche klar zum Ausdruck brächten. Würden wir uns trauen, den Zugang zu unseren Wünschen zu finden, hätten zwei Menschen innerhalb einer Beziehung mehr sexuelle Ideen als Zeit und Gelegenheit, diese jemals auszuleben. Es müsste also in einer Beziehung niemals Langeweile einkehren, sie wäre immerzu dynamisch – außer eben wenn man sich nicht traut, seine Wünsche zu erkennen und sie dem anderen zu offenbaren. Allerdings sollte Letzteres sensibel geschehen, wie uns die Erzählung von Heinz gezeigt hat.

Die eigenen unausgesprochenen Wünsche offenbaren sich einem im Laufe des Lebens mit zunehmender Erfahrung. Mit 16 hat man nicht die gleichen Bedürfnisse und Vorstellungen wie mit 36 oder mit 66. Die neuen Wünsche brauchen Zeit, um zu reifen, und dann erfordert es noch einmal Zeit, bis wir sie ausdrücken können. Und deswegen wird es in der Sexualität nicht langweilig werden, sofern man sich ihr gern hingibt und offen für neue Entwicklungen ist.

Die Sexclub-Geschichte von Heinz und Jasmin ist ein sehr schönes Beispiel für zwei Menschen, die sich trauen, ihren Neigungen nachzugehen. Andere Menschen gehen andere Wege.

Der heiße Tipp

Wie Sie angenehme Überraschungen in Ihre Beziehung bringen

Platzen Sie nicht mit Ihren wildesten sexuellen Fantasien heraus. Packen Sie die Sache lieber langsam an, damit sich Ihr Partner an Ihre noch unbekannte Seite gewöhnen kann. Führen Sie ihn Schritt für Schritt an neue Möglichkeiten heran, implementieren Sie immer nur kleine Veränderungen. Denn Sie wollen ja nicht erreichen, dass sich Ihr Partner überfordert fühlt und sich von Ihnen zurückzieht.

Beginnen Sie damit, ihm von Träumen oder Filmepisoden zu erzählen, die Sie erregt haben. Schmücken Sie das Ganze so aus, wie Sie es sich wirklich ersehnen. Das reicht fürs Erste. Außer natürlich, Ihr Partner oder Ihre Partnerin greift Ihre Erzählungen begeistert auf und ist gar nicht zu stoppen mit eigenen Ideen. Aber auch wenn sich die andere Person zurückhaltend verhält, weiß sie jetzt immerhin, dass in Ihnen so einige Ideen schlummern. Ein anderes Mal knüpfen Sie daran an und fragen, ob sich Ihr Partner vorstellen kann, bestimmte Spiele mit Ihnen auszuüben, ob er oder sie es erregend findet, von Fesselspielen, Augenverbinden, Schlägen auf den Po, heimlichem Sex an öffentlichen Orten, Analverkehr oder Sex mit mehreren zu hören.

Probieren Sie, die Angstschwelle beim anderen zu überwinden, indem Sie deutlich machen, dass Sie solche sexuellen Vorstellungen nicht unbedingt in der Realität ausführen müssen, sondern dass es genügen kann, sie im Gespräch auszuspielen. Und dies tun Sie dann, während Sie gerade leidenschaftlich ineinander verschlungen sind. Bei diesem Dirty Talk spüren Sie sofort, ob der andere nur höflich zuhört oder ob ihn Ihre Fantasien weiter anfeuern. Wenn nicht, können Sie ja wieder aufhören zu reden. Wenn er aber darauf eingeht, haben Sie ein Tor geöffnet für eine neue Dimension Ihrer Sexualität.

Und hier noch ein paar Worte speziell für Sie, liebe Frauen: Sie wissen wahrscheinlich, dass Männer zwar selbst gerne heiße Sexwünsche äußern, aber manchmal merkwürdig reagieren, wenn der Wunsch nicht von ihnen selbst stammt. Tun Sie deshalb so, als sei das seine Idee. Das geht ganz einfach: Wenn er den tollen Sex mit Ihnen lobt, dann greifen Sie das auf und sagen, Sie hätten den Eindruck, dass ihm dieses oder jenes auch noch ganz gut gefallen könnte. Erzählen Sie ihm dabei, sozusagen durch die Blume, was Sie gerne möchten. Oder wenn er sich beschwert, dass der Besuch bei Ihren Eltern immer so furchtbar langweilig ist, dann folgen Sie ihm bei nächster Gelegenheit ins Bad, um seinem Penis einmal kurz Hallo zu sagen. Aus der Begrüßung mit Händen oder Lippen wird vielleicht ein richtiger Quickie. Aber nicht zu laut stöhnen, sonst steht das weitere Kaffeetrinken unter keinem guten Stern. Und bei nächster Gelegenheit eröffnen Sie ihm, dass es Ihnen gut gefallen hat, was er bei Ihren Eltern mit Ihnen gemacht hat und dass er Sie gerne auch einmal an anderen Orten verführen darf. Das ist die hohe Kunst, auf die es ankommt.

Wenn Sie neue Dinge ausprobieren, ist es wichtig, Regeln zu vereinbaren und sich strikt daran zu halten. Wenn Sie zum Beispiel zum ersten Mal Analverkehr machen, muss sich die Frau hundertprozentig darauf verlassen können, dass der Mann auf ihren Wunsch hin seinen Penis sofort herauszieht, weil es schmerzt. Es muss auch klar sein, dass keine Verpflichtung herrscht, die neue Variante immer wieder auszuüben, wenn einer der beiden Beteiligten keinen Gefallen daran findet. Und es ist durchaus nicht so, dass durch die Neuerungen »normaler Sex« nicht mehr genussvoll wäre. Das neue Erlebnis ist in jedem Fall etwas Besonderes, auch wenn es einmalig bleibt.

Nach dem Besuch eines Swingerclubs beispielsweise bekommt die Beziehung neue Impulse, die man in der Partnerschaft immer mal wieder besprechen sollte. Denn es kann sehr anregend sein, die Erlebnisse noch einmal in Erinnerung zu rufen und sich gegenseitig zu fragen: »Welche Momente haben dir am besten gefallen? Was hat dich am meisten erregt? Wann hast du gedacht, das könnte mir auch gefallen? Die Ergebnisse können Sie dann in das Sexleben zu Hause einbringen, indem Sie danach handeln, aber auch als Dirty Talking während des Sexualaktes. Erzählen Sie sich die schärfsten Erlebnisse und malen Sie diese in allen Einzelheiten aus – und die dürfen auch über das Erlebte hinausgehen.

Versuchen Sie auch, den tantrischen Gedanken zu verinnerlichen: Nicht der Abschluss, der Orgasmus, ist das Ziel, sondern der Weg dahin. Die Betonung liegt auch nicht auf verstärkter Stimulation, sondern darauf, für immer feinere Empfindungen im ganzen Körper bewusster zu werden. Dazu ist es wichtig, seine eigenen Reaktionen und die des Partners gut zu kennen. Im Tantra werden deshalb Selbstlieberituale empfohlen. Margo Anand, die international bekannte Tantra-Lehrerin, beschreibt sehr schön solche Rituale, etwa so: Entkleiden Sie sich, spreizen Sie die Beine und betrachten Sie Ihre Genitalien im Spiegel. Streicheln Sie sie und prägen Sie sich ihr Aussehen ein. Schließen Sie die Augen und schauen Sie, ob das Bild Ihrer Genitalien vor Ihrem inneren Auge vorhanden ist. Das wiederholen Sie so oft, bis sie Ihre Genitalien auch bei geschlossenen Augen deutlich vor sich sehen. Nun reiben Sie sich ganz sinnlich mit Öl ein. Suchen Sie nach neuen Orten der Lust: Brustwarzen, Hals, Innenseiten der Oberschenkel. Ihr ganzer Körper hat das Potenzial, Lust zu empfinden und orgastisch zu sein. Rufen Sie nun ein angenehmes Ereignis aus Ihrem Leben ins Gedächtnis und genießen Sie das kribbelnde Gefühl, das sich einstellt. Streicheln Sie sich weiter. Denken Sie an Ihren Liebhaber, jetzt übernehmen Sie seine Rolle. Überlassen Sie Ihrem Körper die Führung und finden Sie selbst heraus, welche erotischen Punkte Ihnen gefallen. Führen Sie sich selbst bis kurz vor den Orgasmus. Machen Sie diese Übung zunächst einmal allein und dann in Gegenwart des Liebsten. Das ist ein sehr wichtiger Schritt, Ihr intimes erotisches Vergnügen auch dann zu erleben, wenn Ihr Partner zuschaut und Ihnen seine volle Achtsamkeit und Liebe schenkt. Danach tauschen Sie die Rollen.

Beim Tantra geht es weniger um neue Techniken, Stellungen und Reize, sondern darum, gemeinsam für die Dauer des Sexualaktes in einen anderen Bewusstseinszustand zu geraten. Dann sind nicht mehr die Zeiger der Uhr die Maßeinheit für das Leben, sondern die Dimensionen der Lust. Man erkennt sich, sieht sich und erlebt eine Nähe miteinander, die im normalen Leben nicht auszuhalten wäre. Nach diesem Zustand kann man süchtig werden, und das kann das Feuer der Leidenschaft immer wieder von Neuem entfachen. Und auch speziell diese Art von Sexualität macht es möglich, dass der andere, den man fünf, zehn, 20 oder 40 Jahre kennt, mit immer größerer Intensität geliebt und begehrt wird.